Reder zur ersten Lesung des Gesetzentwurfs der Fraktion der CDU und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN für ein Gesetz zur Umsetzung des Bundesteilhabegesetzes
Veröffentlicht: 25. Mai 2018
Rede Marjana Schott am 24. Mai 2018 im Hessischen Landtag
Die Aktualisierung des Gesetzentwurfs der Regierungskoalition finden Sie hier:
http://starweb.hessen.de/cache/DRS/19/3/06413.pdf
Sehr geehrte Damen und Herren,
nein, ich hatte nicht mehr damit gerechnet, dass Sie es schaffen, in dieser Wahlperiode einen Gesetzesentwurf für das Bundesteilhabegesetz vorzulegen. Jetzt haben Sie den kürzeren Weg über ein Fraktionsgesetz gewählt, das ganz sicher nicht von den Fraktionen geschrieben wurde. Die Verbände werden Ihnen, wie schon bei den letzten Gesetzen, vorhalten, dass sie nicht vor der Einbringung des Gesetzes einbezogen wurden. Erfahrungsgemäß ändert sich durch die Anhörung im Landtag nicht mehr viel.
Die Klärung zur Eingliederungshilfe ist allerdings unbedingt erforderlich und überfällig. Kostenträger und Anbieter von Leistungen sind seit Monaten schwer verunsichert, welche Richtung gewählt wird. Eine offene Diskussion wollte die Landesregierung nicht führen, deshalb wurde auch unser Antrag abgelehnt, nur zur Frage der Zuständigkeit eine Anhörung durchzuführen, um die Erfahrungen aus anderen Bundesländern herbei zu ziehen und die beste Lösung zu finden. Immerhin hat der Druck der Liga und vieler anderer Verbände jetzt zur Vorlage des Gesetzes geführt.
Klar, wenn man so kurz vor Toresschluss ein Gesetz vorlegt, dann kann man an den Strukturen nicht mehr viel ändern. Vielleicht ist das auch gut so, in diesem Falle, zumindest um das Schlimmste zu verhindern.
Allerdings hat DIE LINKE bereits erhebliche Zweifel an dem Bundesteilhabegesetz. Das Gesetz ist von einer Herauslösung aus dem Fürsorgesystem und von der Schaffung eines modernen Teilhaberechts, welches den Anforderungen der UN-Behindertenrechtskonvention umfassend entspricht, noch weit entfernt.
Das BTHG wie das hessisches Umsetzungsgesetz haben einen eindeutigen Geburtsfehler. Das Ziel ist die Kostenersparnis. Es geht um die Eindämmung der Kosten für die Eingliederungshilfe, da es heute mehr Menschen mit Beeinträchtigungen gibt und es auch mehr Möglichkeiten gibt, diese wirksam zu unterstützen und ihnen ein Leben in der Gemeinschaft zu ermöglichen.
Dies erkennt man u.a. an den umfangreichen Vorschriften zur Evaluation; die Wirtschaftlichkeitsprüfung steht vorne an. Die Prüfung, ob die UN-Konvention bezüglich der Rechte von Menschen mit Behinderungen in der Eingliederungshilfe erfüllt ist, findet sich im Ausführungsgesetz nicht wieder.
Mit einer angeblichen Personenzentrierung wird verschleiert, dass die Einzelfallhilfen eingerichtet wurden, weil die Kosten der Eingliederungshilfe steigen. Ich möchte aus dem statistischen Bericht des Bundesamtes zitieren: „In den vergangenen Jahren rückte die Eingliederungshilfe für behinderte Menschen aufgrund der kontinuierlich steigenden Empfängerzahlen und Ausgaben zunehmend in die öffentliche Wahrnehmung. So ist die Zahl der Hilfeempfänger seit Inkrafttreten des BSHG immer weiter angestiegen: Während 1963 nur etwa 1 von 1 000 Einwohnern in Deutschland Eingliederungshilfe für behinderte Menschen bezog, waren es 2013 rund 10 von 1 000 Einwohnern.“
Statt einer Personenzentrierung steht also das finanzielle Interesse des Sozialleistungsträgers im Mittelpunkt. Wir haben es also eher mit einer Geldgeber-Zentrierung zu tun. Ist es
nicht politisch unanständig den Eindruck zu erwecken, dass der Mensch im Mittelpunkt steht, während es in Wirklichkeit ums Geld geht, sehr geehrte Damen und Herren?
Wir verstehen allerdings, dass es den Kommunen ums Geld geht. Schließlich sind sie die Kostenträger. Aber statt an diesem System etwas ändern zu wollen, werden die Einrichtungen der Eingliederungshilfe daran gehindert, die Leistungen für Menschen mit Beeinträchtigungen so zu erbringen, dass diese „den vollen und gleichberechtigten Genuss aller Menschenrechte und Grundfreiheiten“ erhalten. (UN-BRK)
Wenn keine gut ausgestatteten und qualitätsvollen Leistungserbringer mehr vorhanden sind, weil diese zusammengespart wurden, können auch keine hochwertigen Leistungen erbracht werden.
Wir kommen seltsamerweise bei fast jedem Thema auf die unzureichende Ausstattung der Kommunen zu sprechen. Egal ob wir über Schulen, Kitas, den öffentlichen Nahverkehr oder die Eingliederungshilfe sprechen. Überall wird deutlich, dass Qualität nur mit einer besseren finanziellen Ausstattung der Kommunen zu erwarten ist, sehr geehrte Damen und Herren.
Immerhin ist im Gesetzentwurf, den die beiden Regierungsfraktionen heute vorlegen, eine Frage nicht so schlecht geregelt wurden, wie wir es befürchtet haben. Der Landeswohlfahrtsverband bleibt für die Erwachsenen weiterhin zuständig. Dies ist wichtig, damit hessenweit gleichwertige soziale Standards vor Ort gewährleistet sind. Darüber hinaus bietet der LWV auch ein fachlich hohes Niveau im Umgang mit komplexen Handicaps, dies wurde uns gerade wieder von einem Betroffenenverband bestätigt. Die einzelnen Beeinträchtigungen benötigen heute eine umfassende Kompetenz zur Beurteilung und um geeignete Maßnahmen für den Nachteilausgleich zu implementieren. Ansonsten hätten die kommunalen Träger jeweils das notwendige Personal und Know-how aufbauen und die Umstellung auf den einzelnen Menschen und dessen soziales Umfeld vornehmen müssen.
Das Solidarmodell der Verbandsumlage hat sich im Prinzip bewährt und ist Voraussetzung für gleichwertige Lebensverhältnisse behinderter Menschen in Hessen. Allerdings sollte sich auch das Land Hessen wieder mehr an der Behindertenhilfe beteiligen und nicht den größten Teil der Kosten den Kommunen überstülpen.
Es gab und gibt allerdings nicht wenig Kritik an Vorgehen des LWV. Auch hierfür wäre eine Anhörung eine gute Gelegenheit gewesen, zu überlegen, wie diese Probleme verringert werden können.
Wie allerdings die Zusammenarbeit zwischen den Kommunen und dem LWV im Interesse einer passgenaueren Versorgung der Menschen mit Beeinträchtigungen erfolgen soll, das ist mir nach der Lektüre des Gesetzesentwurfs ein Rätsel. Die Spitzenverbände und der LWV klären die Kostenregelungen. So weit, so schlecht, das hört sich nach Einsparprogramm an. Aber wie sollen die inklusiven Sozialräume, um inklusive Lebensverhältnisse in Hessen zu fördern und zu stärken, entwickelt werden? Wie sollen sozialräumliche Ressourcen einbezogen werden?
Das Ziel sollte sein, die Chancen durch das Bundesteilhabegesetz durch eine engere Zusammenarbeit zwischen LWV und Kommunen zu nutzen und eine bessere Sozialraumorientierung und Vernetzung von Hilfen zu organisieren, die kleinere Träger nicht diskriminiert und innovative Projekte fördert. Die Kooperationsvereinbarungen sollte konkrete gemeinsame Zielen enthalten, z.B. zur Gestaltung der regionalen Unterstützungsstrukturen, zur Erschließung sozialräumlicher Ressourcen und Schaffung sozialer Netzwerke, zu einer an den Menschen orientierten Teilhabeplanung und Leistungserbringung, zu verbindlichen Kooperationsformen und -strukturen, zur Abstimmung eines Berichtswesens, zur Art und Umfang der örtlichen Präsenz des LWV in den Gebietskörperschaften und zur stärkeren Evaluation der einzelnen Träger und Anbieter.
Eine bessere Verzahnung zwischen LWV, den Kommunen und den Leistungserbringer*innen vor Ort ist für eine gute Eingliederungshilfe wesentlich.
Ein Thema der Anhörung wird die Zusammensetzung der Arbeitsgemeinschaft nach § 7 sein. Ich bin gespannt, wie sich dazu die Leistungserbringer verhalten werden, die nicht in der Liga der freien Wohlfahrtspflege vertreten sind. Das sind ja nicht wenige Organisationen. In eine Unterarbeitsgruppe kann man zwar berufen werden, wenn die Mitwirkung auf Grund einer besonderen Expertise erforderlich ist. Es sind aber Verbände, die sehr umfassend in der Eingliederungshilfe engagiert sind, wie die Werkstätten für behinderte Menschen, die nur zum Teil Mitglied der Parität sind, private Organisationen oder die Selbsthilfeverbände.
Nach dem SGB 9 müssen in der Arbeitsgemeinschaft auch Vertreter*innen der Verbände für Menschen mit Behinderungen vertreten sein. Mit der Beauftragten der Belange der Menschen mit Behinderungen der Landesregierung meinen die Regierungsfraktionen eine für sie elegante Lösung gefunden zu haben. Sie delegieren das Problem an Frau Müller-Erichsen. Sie kann ja selbst den Sitz einnehmen, ohne wirksam Position gegen die Landesregierung Stellung nehmen zu können. Oder sie lässt sich vertreten und entscheidet selbst, wer die Vertretung übernimmt.
Unklar bleibt das Gesetz bei der Benennung von bis zu zwei Vertreter*innen. Der Verordnung bleibt überlassen, wie das Stimmrecht geregelt wird. Allerdings ist ein deutlicher Überhang von den Vertreter*innen, die an der Maßgabe arbeiten, möglichst wenig Geld auszugeben, zu erkennen gegenüber Leistungserbringern, die eine gute Arbeit leisten und diese auch gut bezahlt haben möchten und den Verbänden, die die Interessen der Menschen mit Beeinträchtigungen vertreten.
Ein Problem, das zwar bekannt ist, aber in den letzten Tagen durch eine bundesweite Studie öffentlicher wurde, ist die Unterfinanzierung der Jugendämter. Bei einer Übertragung der Jugendhilfe an den überörtlichen Träger wäre allerdings erst das Problem des Ausgleichs zwischen ärmeren und reicheren Kommunen gelöst, aber noch nicht, dass die Jugendhilfe insgesamt unterfinanziert ist. Dieser Frage muss sich die neue Landesregierung dringend stellen.