Mohnblume
(Foto: Gabi Faulhaber)

Reden

Rede zum Antrag der Linken Gemeinwohlökonomie Oktober 2020

Verbandsversammlung am 28. Oktober 2020

Meine Damen und Herren,
In dem vorliegenden Antrag spricht sich meine Fraktion für eine Neubewertung und Neuausrichtung des Landeswohlfahrtsverbands am obersten Ziel des Gemeinwohls aus.
Die Koalition wird unseren Antrag heute ablehnen, weil sie argumentiert, der Landeswohlfahrtsverband diene bereits dem Gemeinwohl und sei nicht an dem erwirtschaften einer Rendite ausgelegt. Allerdings wenn wir uns die Kriterien des Projektes Gesamtsteuerung-Teilhabe ansehen und an was es ausgerichtet ist, dann steht an oberster Stelle Wirtschaftlichkeit. In der neuen Organisationsstruktur taucht nicht die Frage nach der besten Qualität der Versorgung und Zufriedenheit der Mitarbeiterinnen und Menschen mit Behinderungen auf, sondern vor allem die Kosteneffizienz.
Gerade im sozialen Bereich haben extreme Arbeitsverdichtungen stattgefunden und durchdringen auch die Beziehungen zu den Menschen mit Behinderungen. Alles wird so aufgeteilt, dass viele Akteure an der Finanzierung und verschiedene
Kostenträger beteiligt sind. Nicht immer macht das Sinn. Z.B. Wenn ein Pflegedienst in therapeutischen Wohngruppen die Tabletten zwei Mal am Tag verteilt. Gerade hier sind kontinuierliche und einheitliche Bezugspersonen die Voraussetzungen und Wechsel für Bewohner/innen mit Ängsten besetzt.

Tatsache ist, dass der Neoliberalismus sich keineswegs auf einen Wirtschaftszweig beschränkt, sondern eine gesamtgesellschaftliche Ideologie verkörpert.
Die US-Politologin Wendy Brown beschreibt, dass der Neoliberalismus eine Ideologie der Neuordnung des gesamten Denkens ist, die inzwischen alle Bereiche des Lebens sowie den Menschen selbst einem ökonomischen Bild entsprechend verändert – mit fatalen Folgen für die Demokratie. Alle Sphären der Existenz werden einer finanziellen Verwertung unterworfen und entsprechend vermessen. Also die Politik, das Recht, die Kultur, die Bildung, die Familie, die Gesundheit, die Geschlechterrollen.
Darüber hinaus werden weltweit und auch in Deutschland massive Versuche unternommen, die in den jahrzehntelangen Arbeitskämpfen des letzten Jahrhunderts mühsam errungenen und grundsätzlich immer noch relativ schwach ausgeprägten demokratischen Mitbestimmungsrechte der abhängig Beschäftigten wieder rückgängig zu machen und Gewerkschaften massiv zu schwächen. Inzwischen gibt es speziell ausgerichtete Anwaltskanzleien, die letztlich die Arbeit von Betriebsräten mit nicht zu rechtfertigenden Methoden umfassend behindern. Der Weg zurück in einen feudalen „Gutsherren-Kapitalismus“ wird durch den Neoliberalismus immer mehr freigemacht.
Unternehmen die noch Steuern zahlen werden nicht für ihren Verantwortung gelobt, sondern ihnen werden Steuervermeidungsstrategien globaler Konzerne nahegelegt.
Der Landeswohlfahrtsverband steht immer wieder in der Kritik der Städte und Kreise, zu teuer zu sein. Aufgaben könnten kosteneffizienter gelöst werden und zu geringeren Marktpreisen. Der hohe Qualitätsanspruch ist vielen ein Dorn im Auge. Selbst das Bundesteilhabegesetz empfiehlt, sich an den untersten 15% der kostengünstigsten Träger zu orientieren. Das würde in Hessen ein Abbau sozialer Standards bedeuten.
Bislang hat der Landeswohlfahrtsverband es nicht geschafft zu zeigen, dass die eigene Überlegenheit gerade darin besteht, qualitativ gut zu sein und dass er für eine ethischen und verantwortungsvollen Umgang mit Menschen mit Behinderungen steht.
Dies kommt im Wettbewerbsdenken auch mit den Kreisen jedoch nicht an. Alle 5-7 Jahre wird seine Existenz in Frage gestellt und er verliert Aufgaben. Die Kinder und Jugendhilfe in Hessen ist heute - je nachdem an welchen Wohnort man ist - sehr unterschiedlich. Hier gibt es keine hessenweiten Standards. Der LWV könnte mit der Erstellung einer Gemeinwohlbilanz zeigen, dass ein überörtlicher Träger qualitativ das bessere Modell ist. Ein politisches Gemeinwesen kann nur dann effektiv funktionieren, wenn es Klarheit über seine Ziele und Ausrichtung hat. Der Landeswohlfahrtsverband hat sich in den letzten Jahren zu wenig mit zukunftsweisenden Themen und einer Neuausrichtung der Wirtschaft auseinandergesetzt.
Mit der sogenannten Gemeinwohl-Matrix für Kommunen und Unternehmen wurde ein Instrument entwickelt, Gemeinde, Städte und Unternehmen in ihrer Ausrichtung auf Gemeinwohl und Nachhaltigkeit zu untersuchen. Die Gemeinwohl-Ökonomie orientiert sich am eigentlichen Zweck des Wirtschaftens – der Erfüllung unserer menschlichen Bedürfnisse. Dabei geht es vor allem um gelingende Beziehungen: Sie sind die Voraussetzung, um glücklich zu sein – sie sind Voraussetzung für das Gemeinwohl. Dies steht unserem bisherigen - rein betriebswirtschaftlich -ausgerichteten Wirtschaftsmodell diametral entgegen.
Die Wirtschaftsleistung in Geld gemessen, sagt nichts darüber aus, ob das Gemeinwohl steigt oder sinkt. Um zu messen, ob der Zweck erfüllt wird, sind andere Messgrößen gefragt. In der Gemeinwohl Matrix werden 20 Themenfelder für die Kennzahlen der Gemeinwohl-Bilanz vorgegeben. Mit ihr kann nicht nur das Ergebnis einer Gemeinwohl-Bilanz kompakt auf einen Blick dargestellt werden, sondern auch die Entwicklungszeit der letzten Jahre. Maximal können 1.000 Gemeinwohl-Punkte erreicht werden. Bei  „gemeinwohlschädigenden“ Praktiken werden Minus-Punkte vergeben, die maximal minus 3.600 Punkte betragen können. 
Diese Matrix würde sich auch für den Landeswohlfahrtsverband und die Vitos-GmbH eignen.
Eine politische Debatte über die Ausrichtung und Zukunft des LWV findet momentan parlamentarisch nicht statt. Mit dem Konzept der Gemeinwohlökonomie kann sich der LWV eine klare ethische und konzeptionelle Neuausrichtung geben, die wissenschaftlich begleitet werden kann. Der LWV würde damit zu einem Vorreiter nachhaltigen Handelns und bei einer Neuausrichtung des Wirtschaftsdenkens.
Meine Damen und Herren, ich bitte sie unserem Antrag zu folgen.

Wir trauern:

... um unseren Fraktionsvoritzenden
Wolfgang Schrank

250 Wolfgang Schrank 

Der überraschende Tod unseres Fraktionsvorsitzenden Wolfgang Schrank macht uns sehr traurig. Seine Kompetenz, sein Optimismus und sein Einsatz für soziale Gerechtigkeit motivierte uns in unserer Arbeit im Landeswohlfahrtsverband. Wolfgang Schrank wird uns sehr fehlen!

mehr erfahren